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Weit mehr als nur Sand

Welche Rolle spielen Dünen als Indikatoren bei der Veränderung von Küstenlinien? Sie sind eine wichtige Größe für Klimamodelle ...

Dünen spielen für den Küstenschutz weltweit eine große Rolle. Wissenschaftler vom Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) wollen deshalb besser verstehen, wie sie wachsen und sich im Laufe der Zeit verändern. Und um herauszufinden, wie der Klimawandel die Dünenlandschaften künftig beeinflussen könnte, blicken die Experten weit in die Vergangenheit. Denn manche Küstendünen-Landschaften sind bereits viele Tausend Jahre alt.

Primärdünen nach einer Sturmflut

Primärdünen nach einer Sturmflut (Foto: Ina Frings)

Dass Dünen unstete Wesen sind, ist wohl den meisten Menschen bekannt. Nicht umsonst gibt es den Begriff „Wanderdüne“. Tatsächlich können Dünen ihre Gestalt und Lage im Laufe der Zeit verändern. Trägt das Meer Sand heran, können sie wachsen. Andernorts reißen Sturmfluten große Löcher in die schützende Pflanzendecke und legen den Dünensand frei. Wind und Wellen haben dann ein leichtes Spiel und tragen den Sand fort. Und doch: Gar so vergänglich wie sie scheinen, sind sie nicht. An vielen Küsten der Welt gibt es schon seit mehreren Tausend Jahren Dünen – unter anderem auch an der polnischen Ostseeküste. Dort sind die Dünen mancherorts rund 6000 Jahre alt.

Damit sind Dünen so etwas wie stumme Zeitzeugen, die viel über die Vergangenheit der Küsten, das früher herrschende Wetter und Klima verraten können. So versuchen Wissenschaftler heute anhand deren Form herauszufinden, wie der Wind dereinst wehte und aus welcher Richtung die Wellen gegen die Dünen anbrandeten. Einer, der die Historie der Dünen ergründet, ist der Mathematiker Dr. Wenyan Zhang vom Institut für Küstenforschung des HZG, der sich in den vergangenen Jahren vor allem das Werden und Vergehen der Dünen an der deutsch-polnischen Ostseeküste genau angeschaut hat. „Der Blick in die Vergangenheit ist für uns wichtig, um zu verstehen, wie Dünen an verschiedenen Orten auf die Wind- und Wasserströmungen reagieren“, sagt der Forscher, „nicht zuletzt wollen wir so herausfinden, wie sich die Dünen künftig mit dem Klimawandel, dem steigenden Meeresspiegel und möglicherweise veränderten Wind- und Wasserströmungen entwickeln könnten.“ Damit sind Zhangs Arbeiten auch für den Küstenschutz von Bedeutung.

Alte Daten für den scharfen Blick in die Zukunft

Grafik: Einflussfaktoren bei Veränderung der Küstenlinie

Einflussfaktoren bei Veränderung der Küstenlinie (Grafik: Wenyan Zhang / HZG)

Dr. Wenyan Zhang hat versucht, mit seinen Arbeiten gleich mehrere Fragen zu beantworten. Die für die Bevölkerung an den Küsten möglicherweise interessanteste Frage ist die, wie sich die Dünen an der Ostsee im Laufe dieses Jahrhunderts mit dem Klimawandel verändern könnten. Sein Untersuchungsgebiet war die deutsch-polnische Grenzregion zwischen der Insel Usedom, der Odermündung bei Swinemünde und dem etwas weiter östlich gelegenen polnischen Seebad Misdroy. Um in die Zukunft zu blicken, musste Zhang zunächst die Vergangenheit verstehen. Er besorgte sich aus Archiven alte Luftaufnahmen, die zwischen den 1930er und 1950er Jahren bei Überflügen gemacht worden waren und wertete zusätzlich moderne Satellitenbilder der Region aus. Anhand dieser Aufnahmen konnte Zhang zusammen mit den polnischen Kollegen analysieren, wie sich zwischen 1938 und 2012 die Lage der Küstenlinie, der sogenannten Vordünen, verändert hatte, die unmittelbar am Wasser liegen.

Diese geographische Information verknüpfte er dann mit historischen Wetteraufzeichnungen von 1938 bis 2012 – mit Daten über die Windstärke und die Windrichtung. „Ich konnte also im Detail nachvollziehen, wie der Wind und die Wellen die Ostseeküste bis zum Jahr 2012 geformt hatten.“ Er stellte fest, dass Material, welches von den Steilküsten auf Usedom ins Meer abbricht, die Küste entlang nach Swinemünde getragen wird und dort die Dünen wachsen lässt – seit 1938 immerhin um durchschnittlich einen Meter pro Jahr.

Dieses Wissen über die Vergangenheit nutzte Zhang schließlich, um in die Zukunft zu schauen – bis zum Jahr 2050. Dazu setzte er ein mathematisches Küsten- und Strömungsmodell ein, das die Windstärke, die Windrichtung, die Wellen, die Strömung und die daraus resultierenden Veränderungen der Dünen berechnet. „Zunächst habe ich getestet, ob das Modell die Entwicklung der Küstenlinie von 1938 bis 2012 bis heute richtig nachahmen und simulieren kann“, sagt Zhang. „Das klappte sehr gut. Damit wusste ich, dass es korrekt arbeitet und konnte mit dem Blick in die Zukunft starten.“

Grafik: Simulationsergebnisse der Bildung von zwei üblichen Küstendünetypen

Simulationsergebnisse der Bildung von zwei üblichen Küstendünetypen (Grafik: Wenyan Zhang / HZG)

Dr. Wenyan Zhang fütterte das Modell mit Angaben des Weltklimarats zum erwarteten Anstieg des Meeresspiegels. Außerdem ging er von verschiedenen Szenarien aus – einmal programmierte er das Modell so, dass bis zum Jahr 2050 stärkere Stürme auftreten, einmal ließ er das Sturmgeschehen unverändert. Am Ende zeigte sich, dass mit dem Meeresspiegelanstieg der Abtrag des Materials von der Steilküste Usedoms zunimmt und dass die Dünen um Swinemünde weiter wachsen werden. Das Modell zeigte aber auch, dass sich die Dünen verändern, wenn die Winde künftig verstärkt aus nördlicher Richtung senkrecht auf die Küste treffen sollten. In diesem Fall würde auch auf der polnischen Seite beim Seebad Misdroy verstärkt Sand abgetragen und in die Odermündung verfrachtet. Sollten die Winde mit dem Klimawandel stärker werden, werden sich zudem die Dünen selbst verändern. „Die Dünen werden dünner, dafür aber höher. Offenbar haben sie eine Art Selbstheilung, mit der sie auf die veränderten Bedingungen reagieren“, sagt Zhang. Allerdings nur, wenn man voraussetzt, dass die Stürme nicht allzu häufig auftreten. Denn folgen viele starke Stürme aufeinander, hat die zerstörte Pflanzendecke der Dünen nicht genug Zeit, um sich zu erholen – so könnten die Dünen schneller abgetragen werden.

Uralte und standhafte Ostseedünen

Dünenlandschaft

Wie verändert sich die Dünenlandschaft? (Foto: Ina Frings)

Doch der Blick in die Zukunft ist eben nicht alles. Die Experten des Instituts für Küstenforschung wollen vor allem auch mehr über die Dünenvergangenheit herausfinden. Sie wollen verstehen, wie Dünen sich im Laufe von Jahrtausenden verändern – durch Veränderungen des Meeresspiegels im Verlaufe von Kalt- und Warmzeiten oder durch Klimaveränderungen, mit denen die Richtung und Stärke des Windes variiert. Dr. Wenyan Zhang hat deshalb mit seinem mathematischen Modell die Veränderung der Dünen in der südwestlichen Ostsee für die vergangenen 8000 Jahre analysiert.

Das geht freilich nur, wenn man eine Idee davon hat, wie der Wind in dieser Zeit wehte. Diese wichtige Information lieferte ihm sein Kollege Dr. Eduardo Zorita. Er beschäftigt sich mit dem Klima der Vergangenheit, dem Paläoklima. Er will verstehen, wie stark sich das Klima durch natürliche Prozesse verändert, nicht zuletzt, um einschätzen zu können, inwieweit der Mensch den heutigen Klimawandel antreibt. „Wir modellieren das Klima der Vergangenheit, indem wir zum Beispiel Informationen zur Aktivität der Sonne oder auch zu Vulkanausbrüchen in unser Modell einfließen lassen – denn letztere haben ja einen wesentlichen Einfluss auf die globale Sonneneinstrahlung, weil sie Material bis hoch in die Atmosphäre schleudern.“ Dr. Eduardo Zorita ließ sein Modell ermitteln, wie sich im Laufe der letzten 8000 Jahre die Windverhältnisse und damit die Wellen weltweit verändert haben – und extrahierte daraus für Dr. Wenyan Zhang die Windwerte für die Ostsee.

Diese ließ Zhang dann in sein Modell einfließen – zusammen mit Informationen über den Wasserstand der Ostsee. Diese war vor 8000 Jahren ein Binnensee, der durch eine Landbrücke von der Nordsee getrennt war. Durch den Meeresspiegelanstieg lief diese Landbrücke damals über und füllte das Ostseebecken. Seit 6000 Jahren ist der Meeresspiegel nicht mehr nennenswert gestiegen – sodass sich die Dünen bilden konnten. „Unsere Berechnungen zeigen, dass sich seitdem auch sonst wenig verändert hat. Die Winde wehten schon damals im Wesentlichen aus westlichen Richtungen – nur die Hauptwindrichtung hat sich um wenige Grad verschoben“, fasst Dr. Wenyan Zhang die Ergebnisse zusammen. Und damit haben sich auch die Wellenbewegungen und Strömungen kaum verändert. Schon immer kommt der meiste Sand aus dem Westen, wandert die Küste entlang und landet in der Odermündung.

Dünenlandschaft auf Sylt

Dünenlandschaft auf Sylt (Foto: Dirk Hellriegel)

Dass sich Dr. Wenyan Zhang, der an der Sun-Yat-sen-Universität in der südchinesischen Metropole Guangzhou studiert hat, so detailliert mit der deutsch-polnischen Ostseeküste befasst, hat einen einfachen Grund: „In China sind die meisten Küsten so stark durch den Menschen verändert worden, dass wir kaum noch natürliche Dünensysteme finden, die so alt sind. Die Ostsee ist deshalb ein besonderes Gebiet.“ Und nicht nur die. Auch die Nordseedünen sind für ihn von Interesse, weil diese, zum Beispiel auf Sylt, noch vielgestaltiger als an der südlichen Ostsee sind. Dr. Wenyan Zhang wird seinen Arbeitsschwerpunkt deshalb demnächst an die Westküste Schleswig-Holsteins verlagern.

Dünen als wichtige Größe für Klimamodelle

Derweil behält Dr. Birgit Hünicke, die Leiterin der Abteilung „Küsteneinflüsse und Paläoklima“ am Institut für Küstenforschung, die Ostsee im Blick. Zusammen mit ihrem Team und Kollegen von der Universität Hamburg hat sie zuletzt eine ganz andere Facette der Dünenforschung untersucht – sie hat gewissermaßen Zhangs Ansatz auf den Kopf gestellt. Zhang schließt aus historischen Informationen über Wind und Wellen auf die Gestalt und Veränderung der Dünen. Das Team um Dr. Birgit Hünicke hingegen hat zusammen mit den anderen Spezialisten untersucht, inwieweit man von der Gestalt einer Düne auf die Windverhältnisse schließen kann, die zu bestimmten Zeiten geherrscht haben. „Um Klimamodelle realitätsnah programmieren zu können, muss man diese ja mit realen Daten abgleichen. Da man aus früheren Zeiten aber keine Wetteraufzeichnungen hat, benötigt man Stellvertreterdaten, sogenannte Proxies, mit deren Hilfe man auf das damals herrschende Klima und Wetter rückschließen kann.“

Dünenschichtung

Erkennbare Schichtung einer Düne (Foto: Ina Frings)

Ob die Gestalt und Schichtung von Küstendünen als Proxy für den Einblick in die Klimahistorie der Ostsee taugen, war unklar. Um eine Antwort zu finden, analysierte das Team um Dr. Birgit Hünicke spezielle Radaraufnahmen von Dünen an der polnischen Ostsee, die von den Hamburger Kollegen gemacht worden waren. Mithilfe eines Bodenradars, das man an einem kleinen Handkarren über den Boden zieht, kann man tief in das Innere der Dünen blicken und sehen, wie diese geschichtet sind. Und die Schichten wiederum geben Rückschlüsse darauf, wie stark und aus welchen Richtungen der Wind zu bestimmten Zeiten wehte. Die Schichtung ist also gewissermaßen ein Fingerabdruck der Klimageschichte.

Tatsächlich ist es Dr. Birgit Hünicke und ihrem Team gelungen, die Dünen als Proxy nutzbar zu machen. Sie haben ein sogenanntes statistisches Modell entwickelt, eine Art Dünen-Formel, die künftig als zusätzlicher Parameter in Klimamodelle eingebaut werden kann.

Die Frage, warum die Küste von Ghana schrumpft

Neben den natürlichen Einflussgrößen spielt heute der Mensch eine wesentliche Rolle bei der Veränderung von Dünenlandschaften und Sandküsten. Das macht die Erforschung von Küstenveränderungen komplex. An vielen Orten der Welt schrumpfen die Küsten heute, die Küstenlinie zieht sich zurück, Material geht verloren. Will man die Ursachen ergründen, muss man unterscheiden können, welchen Einfluss die natürlichen Faktoren wie Wind, Wellen und Strömungen haben und welchen Anteil der Mensch hat. Am Institut für Küstenforschung ging unlängst eine Studie zu Ende, in der untersucht wurde, warum die Sand- und Dünenküste in bestimmten Gebieten an der Küste des westafrikanischen Staates Ghana schrumpft. Es zeigte sich, dass dieser Rückgang nicht zuletzt durch Baumaßnahmen und Sandentnahme an anderer Stelle verursacht wird – deren Einfluss also nicht direkt erkennbar ist. Die HZG-Studie soll jetzt Grundlage für einen Masterplan zum Schutz der ghanaischen Küste werden. Mit dem Klimawandel und dem Meeresspiegelanstieg dürfte die Dünenforschung weltweit weiter an Bedeutung gewinnen. Ein Anfang ist mit den Arbeiten am HZG gemacht – ein Anfang, der sich sehen lassen kann.

(Text: Tim Schröder / Wissenschaftsjournalist)

Kontakt


Dr. Birgit Hünicke

Leiterin der Abteilung "Küsteneinflüsse und Paläoklima"

Tel: +49 (0)4152 87-1883

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Dr. Wenyan Zhang

Abteilung "Stofftransport und Ökosystemdynamik"

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