Web-banner-1
| News

Frau sein am Hereon

Zum Weltfrauentag interviewt das Hereon starke Frauen – unsere Kolleginnen, die klare Vorstellungen von Gerechtigkeit haben

Am Weltfrauentag wollen wir sechs Frauen eingehend befragen, die am Hereon in unterschiedlichsten Positionen arbeiten. Sechs Frauen, die ihren Weg gehen. Es sind Geschichten von Menschen, die Gegenwind aushalten mussten. Denn wenn auch einiges erreicht ist und das Hereon viel für die Geschlechtergerechtigkeit tut – selbst 2024 haben Kolleginnen Nachteile, weil sie Frauen sind.

Womensday Setcard Startseite


Es geht heute darum, wie Frauen Karriere machen, in der Wissenschaft, doch ebenso in anderen Zusammenhängen. Denn obwohl viel erreicht und erstritten ist – es gibt weiterhin Baustellen bei der Geschlechtergerechtigkeit.

Und auch an einem Forschungszentrum wird offenbar:
Starke Frauen und die Würdigung ihrer Leistung bringen die Gesellschaft voran.



Francesca Toma, Teltow

Francesca-toma Setcard Hereon Hereon Marcel-schwickerath

Francesca Toma / Copyright: Marcel Schwickerath

Zwei Mobiltelefone liegen vor ihr. Permanent auf der Suche nach einer austarierten Balance zwischen Berufs- und Privatleben. Ein Tagungsraum am Hereon-Standort in Teltow. Sie ist fokussiert und engagiert. Weil sie das Thema so wichtig findet.
Die Biophysikerin Francesca Toma faltet die Hände wie zum Gebet, als es um die erste und vielleicht wichtigste Frage geht: Hat sie sich selbst schon einmal benachteiligt gefühlt, weil sie eine Frau ist? „Auch heute noch werden Frauen manchmal übervorteilt und ausgeschlossen“, antwortet sie erst einmal allgemein. Da sie in Italien und den USA gelebt hat, jetzt ist Berlin ihre Heimat, kann sie beurteilen: Es ist ein Allerweltsthema.
Gerade Frauen träfen „Mikroaggressionen“ öfter – das sind alltägliche Kommentare, Fragen, verbale oder nonverbale Handlungen, die überwiegend marginalisierte Gruppen treffen und negative Stereotypen verfestigen.
Oft seien es Zwischentöne, an denen sich Diskriminierung ablesen lasse. Ein Beispiel: Wenn die Schule oder die Kita anruft, weil etwas mit ihren beiden Töchtern, drei und sieben Jahre alt, nicht stimmt – dann riefen sie immer zuerst die Mutter an. Wenn man sich als Frau auf Führungsposten bewerbe, verbiete es sich immer noch fast überall, die Planung einer Schwangerschaft zu erwähnen – was anno 2024 eigentlich kein Thema mehr sein sollte. Francesca Toma hat genau aus diesem Grund überlegt, ob sie überhaupt Kinder bekommen möchte – weil sie auch Karriere machen wollte.
Auch begegne es ihr immer wieder, dass Männer in Meetings ihre geäußerten Beiträge aufnähmen, ohne das klar zu benennen. „Das gibt es ganz oft. Eine Frau sagt etwas, später wiederholt es ein Mann und tut so, als seien es seine Gedanken.“ Selbst in ihrer heutigen Position als Institutsleiterin, zuvor hatte sie ihr Weg bis nach Berkeley geführt, passiere das. Sie weise inzwischen konsequent darauf hin: „Lieber Herr Kollege! Genau das habe ich gerade gesagt.“ Und noch etwas ärgert Francesca Toma: „Ich habe mir schon mehrfach den Satz anhören müssen: Deinen Job hast du ja nur bekommen, weil du eine Frau bist. Für dich ist es leichter. Dabei arbeite ich bestimmt doppelt so viel und hart als manch ein Mann in vergleichbarer Position.“ Ganz wichtig sei nicht nur, Männer für ihre Nöte und Interessen zu sensibilisieren – Frau Toma und ihr Mann teilen sich Erwerbs- und Familienarbeit gerecht auf – sondern es müssten sich die Frauen auch gegenseitig motivieren. Oft sehen sich Männer noch in der Rolle, dass sie der Versorger sein müssen. Viele wollen das aber gar nicht mehr, sie wollen auch ein Familienleben haben.
„Wenn du dir sagt, du kannst nichts, kannst du auch nichts. Du musst den Gedanken umdrehen.“ Wichtig sei, dass es am Hereon mit Elina Valli eine Ansprechperson für Sorgen und schlechte Erfahrungen gebe. Francesca Toma weiß für ihre Rechte einzustehen.

Hanin Alkhamis, Teltow

Hanin-alkhamis Setcard Privat

Hanin Alkhamis / privat

Im Erdgeschoss des benachbarten Gebäudes sitzt Hanin Alkhamis, eine warmherzige Persönlichkeit mit palästinensisch-jordanischen Wurzeln. Sie erwarb ihren Bachelor-Abschluss in Biomedizintechnik an der Deutsch-Jordanischen Universität und ist nun tief in ihre Doktorarbeit vertieft, die sich mit der Entwicklung von Polymeren für medizinische Anwendungen befasst. Hanin widmet sich nicht nur ihrem Studium, sondern ist auch Doktorandenvertreterin bei Hereon und Sprecherin der Helmholtz-Junioren. Ihr Lachen ist ansteckend, sie hat definitiv einen wunderbaren Sinn für Humor, der jeden Raum erhellt.
Hanin, die eine Karriere in Forschung und Lehre anstrebt, hat nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Deutschland immer wieder mit dem Vorurteil zu kämpfen, Frauen könnten dieses oder jenes nicht. „Diese Vorurteile gegenüber Frauen werden durch die gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf familiäre Verpflichtungen noch verstärkt, die Frauen unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen ungerechtfertigt benachteiligen“, sagt sie. Selbst diejenigen, die keine Kinder haben wollen oder in der Lage sind, Mutterschaft und Karriere unter einen Hut zu bringen, seien mit diesem Stigma konfrontiert.

Carmen Wiechulla, Geesthacht

Carmen-wiechulla Setcard Hereon Christoph-wöhrle

Carmen Wiechulla / Copyright: Christoph Wöhrle

Während die Kaffeemaschine kurz faucht wie eine Katze, Carmen Wiechulla gibt einen Latte Macchiato aus, erzählt sie, dass auch sie als Leiterin Bewirtung für den externen Dienstleister und Kantinenbetreiber, schon ihre Erfahrung mit der Männerwelt gemacht hat – blöde Sprüche inbegriffen, allerdings nicht in der Hereon-Kantine.
Es seien viele Frauenrechte erst vor gar nicht so langer Zeit erstritten worden, sei es das Wahlreicht oder auch die Aufhebung des Umstands, dass Frauen in Deutschland lange noch die Erlaubnis zu arbeiten, von ihrem Ehemann einholen mussten. Gerade deshalb erzöge sie die eigene Tochter dazu, selbständig zu sein und sich nicht auf andere zu verlassen. „So haben’s meine Eltern auch mit mir gemacht. Man muss für sich selbst einstehen können“, sagt Carmen Wiechulla. Einfach sei das aber nicht immer. So verdienten Frauen immer noch weniger, kämen schwerer in Führungspositionen und müssten zudem oft Haus- und Erziehungsarbeit allein stemmen. Aber Frau Wiechulla ist auch kämpferisch: „Ich glaube nicht, dass das bereits Erreichte in Gefahr ist. Wir Frauen lassen uns das nicht mehr wegnehmen.“

Jo-Ting Huang-Lachmann, Hamburg

Jo-ting-huang-lachmann Setcard Privat

Jo-Ting Huang-Lachmann / Copyright: Steffen Niemann

Am GERICS im Chilehaus begleiten wir Jo-Ting Huang-Lachmann. Die aus Taiwan stammende Klimaforscherin leitet seit Oktober 2022 die interdisziplinäre BMBF-Nachwuchsgruppe „Gemeinsame Entwicklung von Klimaservices für die Pflegewirtschaft und die Pflegende Gesellschaft“ (CoCareSociety). Im Dezember wurde sie zum zweiten Mal Mutter, entschied sich aber, so bald wie möglich weiterzuarbeiten: “Es ist eine wahnsinnig intensive Zeit. Ich genieße es aber auch, mehrere Rollen zu haben, und mich pusht, was ich alles schaffe.“
Die Pflegearbeit zu Hause teilt sie sich mit ihrem Mann. "Er macht es gerne, er unterstützt, dass mir auch meine Arbeit und meine Karriere wichtig sind." Und wenn gar nichts geht, springen Freunde, Großeltern und Nachbarn ein, zum Beispiel wenn weder Jo-Ting Huang-Lachmann noch ihr Mann ihr krankes Kind aus der Kita abholen können.
„Flexibilität und eine Vielfalt von Arbeitsformaten, wie ich sie bei GERICS erlebe, sind aus meiner Sicht entscheidend, damit man die Rolle eingehen kann, die man möchte, zum Beispiel sowohl eine Familie als auch eine Forschungsgruppe leiten. Auch wenn Sie vielleicht die oder der Erste sind, haben Sie keine Angst. Versuchen Sie es, damit mehr Menschen sich trauen, neue Möglichkeiten auszuprobieren."

Elina Valli, Geesthacht

Elina-valli Setcard Hereon Christian-schmid

Elina Valli / Copyright: Christian Schmid

Für Elina Valli, die Gleichstellungsbeauftragte des Hereons, bleiben Baustellen – am Zentrum im Speziellen und in Deutschland im Allgemeinen. Auch sie wurde schon als Rabenmutter betitelt, weil sie ihr Kind nach einem Jahr in die Kita gab, weil sie wieder Vollzeit arbeiten wollte. In ihrer alten Heimat Finnland sei dies die Regel, wovon sowohl das Kind als auch die Eltern profitieren. Heute sei es wichtiger denn je, dass Männer und Frauen die Care-Arbeit zuhause fair aufteilten.
Und im Hinblick auf den Fachkräftemangel: „Frauen müssen weg aus der Teilzeit in die Vollbeschäftigung. Sie sollen mehr finanzielle Eigenverantwortung tragen – schon allein wegen der drohenden Altersarmut. Dadurch werden sie auch mehr ihre Rolle in der Gestaltung unserer Gesellschaft stärken und Männern die Möglichkeit geben, mehr Vater zu sein.“ Zudem sei es wichtig, die Aufmerksamkeit auf Förderung und Rekrutierung von Frauen ab 45 Jahren zu richten. „Diese Altersgruppe von Frauen ist nach der Familienphase besonders motiviert, erfahren und qualifiziert, beruflich wieder durchzustarten, wird aber in Deutschland zu wenig berücksichtigt, gar diskriminiert. Da geht wertvolles Potential verloren!“

Elisabeth Gerndt, Geesthacht

Elisabeth Gerndt Setcard Hereon Heinrich-holtgreve

Elisabeth Gerndt / Copyright: Heinrich Holtgreve

Auch die Kaufmännische Geschäftsführerin Elisabeth Gerndt ist sich gewiss: Männer und Frauen sind noch nicht Gleiche unter Gleichen. Am meisten habe sie in ihrer Karriere Geringschätzung erlebt. „Das geht wunderbar auch ohne Worte und läuft unterschwellig. Meine Reaktion war und ist: ich sehe mich gleichwertig und zeige das auch. Ich trete aktiv auf und spreche geradeheraus; vermutlich habe ich sogar deswegen einen Zugang zu einer Führungsrolle bekommen.“ Doch wie sieht sie das Hereon? „Es gelingt uns noch nicht vollständig die gesellschaftlich angelegten Effekte einer mangelnden Gleichberechtigung auszugleichen. In Leitungsfunktionen gibt es noch ein ordentliches To-do. Manche Maßnahmen am Hereon sind aber schon ganz hervorragend gelungen, wie die Kita am Campus Geesthacht mit angemessenen Öffnungszeiten. Natürlich müssen wir versuchen, auch an anderen Standorten ähnlich gute Möglichkeiten einzurichten.“
Dabei ist die gesamtgesellschaftliche Entwicklung eher problematisch: „Aktuell stehen uns auf der ganzen Welt gewaltige Veränderungen bevor: die Revolution der Energieerzeugung, die Weiterentwicklung der Welt-Wirtschaftssysteme zu nachhaltigen Kreislaufwirtschaften, die beginnende Revolution der Arbeitswelt durch KI-Technologien – das bewirkt auch eine Umverteilung von Geld und Macht. Es würde mich freuen, wenn es dabei gelänge, die überkommene Ungleichbehandlung von Menschen zu überwinden. Leider lehrt die Geschichte, dass bei diesen Neu-Verteilungen, Schwächere bewusst an den Rand gedrückt werden. Frauenrechte müssen also von uns allen zusammen – auch den Männern – gerade in dieser Zeit geschützt und gestärkt werden.“

Weil es nur gemeinsam geht. Und das nicht nur am Weltfrauentag.

Christoph Wöhrle