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Die Nord- und Ostsee im Blick des Satelliten

Der Klimawandel wird die Lebensbedingungen auf der Erde verändern. Damit stellt sich auch die Frage, wie er sich auf das Phytoplankton, die Basis allen Lebens im Meer, auswirken wird.

Der Klimawandel wird die Lebensbedingungen auf der Erde verändern. Damit stellt sich auch die Frage, wie er sich auf das Phytoplankton, die Basis allen Lebens im Meer, auswirken wird.

Um die Veränderungen großräumig zu erfassen, kommen heute Satelliten zum Einsatz. Allerdings müssen die Messdaten der Satelliten aufwendig aufbereitet werden, um daraus auf die Planktonmengen schließen zu können. Forscher der Fernerkundungsgruppe des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) haben dafür Algorithmen entwickelt, die jetzt bei der Europäischen Raumfahrtagentur zum Einsatz kommen.

Aufnahme des ESA Satelliten ENVISAT mit dem Spektrometer MERIS Aufnahme des ESA Satelliten ENVISAT mit dem Spektrometer MERIS

Aufnahme des ESA Satelliten ENVISAT mit dem Spektrometer MERIS Foto: ESA

Die Basis des Lebens in den Ozeanen sind die Algen, vor allem die winzig kleinen, einzelligen und frei schwimmenden Algen, das Phytoplankton. Kleinstkrebse oder Fischlarven ernähren sich von ihnen, und sind selbst wieder Futter für größere Fische. Das Phytoplankton gedeiht vor allem in den Küstengebieten, denn mit den Flüssen gelangen viele Nährstoffe ins Meer, die das Algenwachstum ankurbeln. Dank dieser Produktivität sind Küstengewässer oftmals besonders fischreich.

Wissenschaftler interessieren sich für die Wechselwirkungen von physikalischen und biologischen Prozessen im Meer. Sie möchten zum Beispiel herausfinden, inwieweit sich durch den Klimawandel, durch mögliche Veränderungen des Nährstoffangebotes oder der Meeresströmungen das Wachstum des Planktons und die Produktivität der Meeresgebiete weltweit verändern. Da Messfahrten mit Forschungsschiffen aufwendig und teuer sind, nutzt man heute zusätzlich Daten von Erdbeobachtungssatelliten. Ihr großer Vorteil besteht darin, dass sie die ganze Erde ins Visier nehmen und großflächig vermessen können.

Sentinel: eine neue Satellitengeneration

Algenblüte in der Ostsee

Algenblüte in der Ostsee (Aufnahme des ESA Satelliten ENVISAT) Foto: ESA

Bis zum Jahr 2012 lieferte der Satellit ENVISAT rund zehn Jahre lang zuverlässig Daten, auch über die biologische Produktivität von Meeresgebieten. Dann aber versagte die Bordtechnik, sodass ENVISAT seitdem nur noch als künstlicher Himmelskörper um die Erde kreist. Im Jahr 2014 hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency) deshalb das neue Satellitenprogramm Sentinel gestartet. Dieses sieht vor, nach und nach mehrere Satelliten ins All zu schicken, die die Erde gemeinsam flächendeckend scannen werden.

Im Februar startete der Satellit Sentinel-3 in den Orbit, der die Ozeanfarbe messen soll, aus der man auf das Phytoplankton im Wasser rückschließen kann. Neben vielen anderen Daten wird er also auch Messwerte auf die Erde schicken, aus denen sich die Produktivität der Meeresgebiete ableiten lässt.

Wichtige Größen sind dabei vor allem der Gehalt des grünen Pflanzenfarbstoffs Chlorophyll, der Hinweise auf die Konzentration der Algen im Wasser liefert. Auch Gelbstoff, bei dem es sich um gelöste organische Substanzen handelt, die Abbauprodukte von Phytoplankton sind, oder der aus Flüssen ins Meer gespült wird, ist von Interesse. Zu beachten ist außerdem, dass in vielen Meeresgebieten Sedimente das Wasser trüben. Das muss bei der Messung der biologischen Produktivität berücksichtigt werden.

Algorithmus aus Geesthacht in der ESA-Zentrale

Wissenschaftler aus dem Bereich Fernerkundung des HZG beherrschen die Kunst, die Produktivität von Meeresgebieten mithilfe von Satellitendaten zu vermessen. Sie haben eine Software, einen Algorithmus, entwickelt, der aus den nackten Messwerten des Satelliten sehr genau auf die Inhaltsstoffe im Meerwasser schließen kann – und damit auf die Produktivität des Planktons. Dieser Algorithmus läuft auf den Zentralrechnern der ESA und filtert gewissermaßen die Rohdaten, die vom Satellit zur Erde strömen.

„Im Grunde liefert uns der Satellit Informationen über das Sonnenlicht, das im Wasser absorbiert und gestreut wird und dann als charakteristisches Farbsignal vom Satellitensensor beobachtet wird“, sagt Martin Hieronymi, der am HZG die Algorithmen weiter entwickelt. „Die Aufgabe des Algorithmus’ ist es, diese Farbinformation richtig zu interpretieren.“

Letztlich macht es der Satellit nicht viel anders als eine hochwertige Digitalkamera. Ein CCD-Chip nimmt das Licht wahr und misst die Intensität. Anders als bei herkömmlichen Kameras werden dabei aber nicht nur Rot, Grün und Blau gemessen, sondern viel mehr Kanäle des Lichtspektrums, die für die Plankton-Erkennung nützlich sind. Wie erwähnt, misst der CCD-Chip das Licht, das vom Meerwasser ausgesendet wird. Da die Planktonorganismen bestimmte Wellenlängen absorbieren, kann man aus dem reflektierten Wellenlängenbereich darauf schließen, welche Organismen sich im Wasser befinden.

Die Atmosphäre verfälscht die Daten

Eine der letzten Satelliten-Szenen der Nordsee von MERIS (Medium Resolution Imaging Spectrometer), aufgenommen am 10.3.2012. Oben ist das "Rohbild", wie es der Satellit sieht, darunter die Atmosphären-korrigierte Szene und unten ist die abgeleitete Biomasse in der Nordsee; genauer gesagt handelt es sich um die Konzentration von Chlorophyll-a in der Einheit [mg/m³].

Eine der letzten Satelliten-Szenen der Nordsee von MERIS (Medium Resolution Imaging Spectrometer), aufgenommen am 10.3.2012. Oben ist das "Rohbild", wie es der Satellit sieht, darunter die Atmosphären-korrigierte Szene und unten ist die abgeleitete Biomasse in der Nordsee; genauer gesagt handelt es sich um die Konzentration von Chlorophyll-a in der Einheit [mg/m³]. Foto: HZG/Martin Hieronymi

Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist die Analyse nicht. Zum einen werden nur fünf bis zwanzig Prozent des auf die Wasseroberfläche einfallenden Lichtes zum Satelliten zurückgeworfen. Die Ostsee beispielsweise erscheint, aus dem Weltall betrachtet, sehr dunkel – fast schwarz, weil sie viel Gelbstoff enthält, der das Sonnenlicht sehr stark absorbiert. Und je weniger Licht der Satellit empfängt, desto schwieriger wird die Messung.

Hinzu kommt, dass die Atmosphäre das zurückgestreute Licht ebenfalls beeinflusst. Aerosole und Wasserdampf absorbieren Licht bestimmter Wellenlängen. Auch wird das Licht gestreut. Außerdem verändern sich die Eigenschaften der Wasserfarbe mit dem Winkel, mit dem die Sonne auf die Erde scheint. „Bevor der Algorithmus die Daten verarbeitet, müssen wir deshalb eine genaue Atmosphärenkorrektur durchführen“, erklärt Martin Hieronymi, „sonst werden die Messwerte völlig verfälscht.“ Sentinel-3 hat dafür weitere Sensoren an Bord, die die aktuellen Eigenschaften der Atmosphäre zu einem Teil mit aufnehmen.

Große Datenströme bewältigen

Während Sentinel-3 um die Erde saust, decken die Sensoren an Bord einen Streifen mit einer Breite von rund 1200 Kilometern ab. Ein Pixel auf dem Sensor entspricht einer Fläche von 300 mal 300 Metern am Boden. Für die Vermessung des Planktons im Meer reicht das meist aus. Der HZG-Algorithmus zeichnet sich dadurch aus, dass er schnell rechnet. „Nur so lassen sich die großen Datenströme, die Sentinel schickt, operationell bewältigen“, sagt Rüdiger Röttgers, der Leiter des Bereichs Fernerkundung. „Das ist die Voraussetzung dafür, dass die ESA relativ schnell aktuelle Seekarten mit Chlorophyll-Werten oder den anderen Parametern zur Verfügung stellen kann.“

Hieronymi und Röttgers betonen, dass sie nicht die einzigen sind, die die Meeresgewässer für die ESA ins Visier nehmen. So hat eine französische Expertengruppe einen Algorithmus für die Vermessung des Planktons im offenen Meer entwickelt. Im klaren Wasser der hohen See dominieren Blautöne, die lediglich durch das Wachstum von Algen verändert und ins Grün verschoben werden. Röttgers: „In den Küstengebieten, die wir analysieren, ist die Situation wegen der Sedimente, der Gelbstoffe oder der Trübung sehr viel komplexer, sodass wir einen ganz anderen Algorithmus benötigen.“

4x Wasseraufnahme: sehr trübes und stark streuendes Wasser in Flussmündungen, tief-blaues Atlantik-Wasser, Nordsee-Wasser mit viel Phytoplankton

Welche Farbe hat das Meer? Wir haben sehr trübes und stark streuendes Wasser in Flussmündungen, tief-blaues Atlantik-Wasser, Nordsee-Wasser mit viel Phytoplankton und Fälle, in denen eine "Farbcodierung" kaum möglich ist. Foto: HZG/Martin Hieronymi

Grundsätzlich ist die Qualität der Satellitenmesswerte nicht annähernd mit der einer Wasserprobe aus dem Meer vergleichbar. Analysiert man eine Wasserprobe, kann man den Planktongehalt aufs Mikrogramm genau bestimmen. Die optischen Messwerte aus dem Satelliten sind davon meilenweit entfernt. Das macht aber nichts, sagen die Forscher, denn die Stärke des Satelliten besteht ja darin, ein großes Meeresgebiet zu überblicken. So kann man großräumig die Entstehung von Algenblüten, von Strömungswirbeln oder Fronten im Meer erkennen. Wasserproben hingegen liefern stets nur Stichproben.

Mitarbeit in internationalen Großprojekten

Die Ergebnisse, die der HZG-Algorithmus ausspuckt, werden vielfältig genutzt. Hervorzuheben sind zwei aktuelle internationale Forschungsprogramme. Das eine ist das umfangreiche Copernicus Programme der Europäischen Union, mit dem die Umweltveränderungen in Europa umfassend beobachtet werden sollen, nicht nur aus dem All, sondern auch durch Messungen vor Ort. Das Programm deckt alle Umweltbereiche von der Landwirtschaft über die Fischerei bis zur Atmosphäre ab.

Programm Nummer zwei ist die Climate Change Initiative (CCI) der ESA, in der Wissenschaftler alle klimarelevanten Informationen aus Satellitendaten bündeln. Das HZG-Team ist in der CCI mit für den Bereich Meeresfarbe zuständig. In der CCI werden auch jene Daten analysiert, die ENVISAT und andere Satelliten seit etwa 20 Jahren geliefert haben. „Unser ehemaliger Leiter der Fernerkundung am HZG, Roland Doerffer, hatte schon für den Sensor auf ENVISAT Algorithmen geliefert, mit der aktuellen Software für die Sentinel-Daten wird diese Arbeit jetzt fortgesetzt“, sagt Röttgers.

Ausfahrt mit der Helgolandfähre

Für die nächste Zeit besteht die Arbeit von Röttgers, Hieronymi und ihren Mitarbeitern darin zu überprüfen, wie gut der Algorithmus in der ESA-Zentrale arbeitet. Röttgers: „Erste Tests haben gezeigt, dass die Bordgeräte auf Sentinel-3 intakt sind, jetzt müssen wir überprüfen, ob unser Algorithmus sinnvolle Ergebnisse liefert.“ Der nächste Schritt wird dann sein, die Werte zu validieren, also die Frage zu beantworten, wie gut der Algorithmus arbeitet.

Dazu werden die Forscher auch auf die Nordsee hinausfahren und vom Schiff aus Wasserproben nehmen. Sie wollen in dem Moment draußen sein, wenn Sentinel-3 über sie hinwegfliegt und dann Wasser schöpfen. Durch den Vergleich der Wasserproben mit den Satellitendaten lässt sich dann einschätzen, wie gut die Daten übereinstimmen beziehungsweise wie genau der Blick aus dem Weltraum ist.

Erstaunlicherweise werden Röttgers und Hieronymi nicht mit einem Forschungsschiff hinausfahren, sondern mit der Helgolandfähre. „Eine Forschungsfahrt muss man lange vorher beantragen. Die Fähre können wir auch spontan nehmen, wenn schönes Wetter ist“, sagt Röttgers. Und schönes Wetter brauchen die Forscher, denn den besten Blick auf das Meer hat Sentinel-3 natürlich bei strahlendem Sonnenschein.

Text: Tim Schröder, Wissenschaftsjournalist


Satelitenbild Erde

Satelitenbild Erde. Foto: ESA

Die ersten Bilder vom Satelliten Sentinel-3

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Dr. Martin Hieronymi
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